Wahlboykott ist wie CDU und SPD zu wählen

Die Wahlbeteiligung am Sonntag lag bei nicht einmal 77 Prozent. Die Klimakrise ist im Gange, Rechte morden und die AfD sitzt weiterhin in den Parlamenten. Warum verschenken Menschen ihre Stimme?

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    Jakob Wilkening
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    Kolumne
    Wahljahr 2021
    CDU
    SPD
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    27.09.2021

Die Bundestagswahl ist vorbei. Im Wahlkampf wurde oft betont, es handle sich um eine Richtungsentscheidung. Und trotzdem haben wieder viele Menschen, die ein Stimmrecht hätten, sich dafür entschieden, es nicht zu nutzen. In der Statistik zur Wahlbeteiligung sind die Gründe dafür nicht sichtbar, dabei sind sie vielfältig. Einerseits ist es die Politikverdrossenheit Vieler. Auf einer anderen Seite stehen vielleicht nicht unpolitische Menschen, die es aber als Sinnlosigkeit empfinden, eine Stimme abzugeben. Es ist unwahrscheinlich, eine Partei zu finden, die hundertprozentig mit der eigenen Meinung übereinstimmt. Schon allein, weil Parteien selbst aus vielen Individuen bestehen, die Kompromisse untereinander schließen. Das Gefühl, von großen politischen Entscheidungen, Vorgängen oder gar Strukturen frustriert zu sein, kennen wohl die Meisten. Für viele trifft da die abgegriffene, oft mit Wahlen im Zusammenhang gebrachte und doch nachvollziehbare Phrase, „das kleinere Übel“ zu wählen. Aber wer keinen Kompromiss will, wählt nicht. Einige, weil ihnen das Gewicht ihrer Stimme bedeutungslos erscheint und andere, weil sie versuchen, daraus ein politisches Statement zu machen. Also politisches Nichtwählen, Wahlboykott.

Die Unzufriedenheit mit dem System an sich ist der Grund für viele Nichtwähler:innen. Mit parlamentarischen Machtstrukturen oder dem Kapitalismus müssen sich mehr oder weniger alle Parteien arrangieren. Oder aber eine Partei zu wählen, die zwar in bestimmten Punkten die eigene Meinung vertritt, in anderen aber nicht, das bedeutet einen Widerspruch, den können viele nicht aushalten.

Aber es war von vornherein klar, es gibt keine auf einen selbst maßgeschneiderte Partei. Dann müsste man es schon so machen wie Jürgen Todenhöfer, der kurzerhand seine eigene gründet hat. 50 Jahre lang war er Mitglied der CDU, vor zwei Jahren trat er zu seinem 80. Geburtstag aus. Am Sonntag stand er für seine frisch gegründete Partei „Team Todenhöfer“ als Lederjacken-Kanzlerkandidat zur Wahl und steht für nicht viel mehr, als für sich selbst. Super gelaufen für ihn, keine Widersprüche, keine Kompromisse, nur Jürgen Todenhöfer. Für die deutsche Parteienlandschaft nur eine weitere Peinlichkeit, die hoffentlich bald vergessen werden kann.

Auch hält sich weiterhin hartnäckig der Mythos, es hätte einen Sinn, sich die Mühe zu machen, sich in ein Wahlbüro zu bequemen, um dort seine Stimme ungültig zu machen. Hat es aber nicht. Ungültige Stimmen gehen in die Statistik zur Wahlbeteiligung mit ein und dort zwischen den versehentlich falsch ausgefüllten Wahlzetteln unter. Der symbolische Protest bewirkt nicht mehr als eine Besänftigung des eigenen Gewissens. Hinzu kommt, dass in diesem System keine Mindestbeteiligung bei Wahlen vorgesehen ist, um es zu legitimieren.

Diese Welt ist komplexer und schwerer zu erfassen, wenn man aufhört, sie sich mit dem alleingültigem Dualismus „wir hier unten“ und „die da oben“ zu erklären. Da ist es deutlich leichter zu resignieren und sich damit zu entschuldigen, „es ändere sich doch eh nichts“. Dabei sind die politischen Auswirkungen der Wahl spürbar, auch für die, denen die Abgabe der Stimme als sinnlos erscheint oder in einem Identitätskonflikt mündet. Die Haltung zu Überwachung, zur Bekämpfung von Rechtsextremismus oder Repression für politischen Aktivismus wie Seenotrettung unterscheidet sich innerhalb der verschiedenen Parteien stark. Die CDU hat im Wahlkampf auf die kalkulierte Verbreitung von Unwahrheiten gesetzt, wie beispielsweise den lachhaften Versuch, Olaf Scholz als linksradikal zu framen. Sie ist nicht nur regressiv, sondern auch gefährlich. Menschenrechte an den Grenzen Europas sind ihr weitestgehend egal und was Sicherheit angeht, setzt sie auf unsere Unsicherheit, nämlich Überwachung.

Aber stärker als die Möglichkeit, diese Parteien abzuwählen, wiegt am Ende doch die Sehnsucht nach Widerspruchslosigkeit. Dabei ist die Möglichkeit, eine Fraktion zu stärken, die die CDU auf die Oppositionsbank kicken könnte, gar keine schlechte Aussicht. Widersprüche begleiten uns ständig, sich bloß hinter seinen Utopien zu verschanzen ist leicht und identitär. Sich treu zu bleiben ist viel einfacher, als den bewussten Widerspruch einzugehen. Wer nicht wählt, überlässt es den anderen und hat am Sonntag Abend, wie erwartet, CDU und SPD bekommen. Man kann sich nie auf die Vernunft der Anderen verlassen!