Interview mit dem Vorsitzenden der Jungen Union München-Nord Alexander Rulitschka

»Wir werden bei den Jüngeren zu sehr als Rentnerpartei wahrgenommen.«

Der Vorsitzende der Jungen Union München-Nord Alexander Rulitschka sprach im Interview mit BUMS über das Standing der Christsozialen nach der Wahl und warum er sich eine Renaissance bürgerlicher Werte wünscht. On-Top: Warum die Junge Union gegen das Gendern kämpft und weshalb sich mit Onlinewahlkampf politische Ränder abdecken lassen.

  • [authors]
    Jonas Janker
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    Interview
    Wahljahr 2021
    Junge Union
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    08.10.2021

Alexander Rulitschka ist Kreisvorsitzender der Jungen Union München Nord. Der gelernte Mediengestalter ist außerdem Mitglied im Deutschlandrat der Jungen Union. Im Kreisverband ist er mitverantwortlich für die oft provokative Öffentlichkeitsarbeit. 2016 wurde dort zum Beispiel eine Grafik veröffentlicht, basierend auf der historischen Fotografie, die zeigt, wie Soldaten nach der Befreiung Berlins die Flagge der Sowjetunion auf dem Reichstagsgebäude hissen. Versehen war das Ganze mit dem Hashtag #R2Gverhindern, dazu die Logos von SPD Linke und Grünen unter der Überschrift “Der Deutsche Sozialismus formiert sich im Bund.” Mögliche Auslegung des Inhalts: Lieber Nationalsozialismus als Rot-Rot-Grün. “Jetzt dreht die Junge Union München-Nord völlig durch“, verlautbarte der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz damals per Facebook. Mit innerparteilichen Konflikten, die auch in den jetzigen Koalitionsverhandlungen offensichtlich sind, kennt sich der 32-Jährige Alexander Rulitschka also aus.


BUMS: Herr Rulitschka, vorneweg erstmal: Ein historisch schlechtes Ergebnis für die CSU in Bayern, lediglich 31.7 Prozent der Stimmen wurden geholt. Trotzdem sind fast alle Wahlkreise in Bayern weiterhin CSU-Blau. Wie sehen Sie in Anbetracht dieser zwiespältigen Ergebnisse der Zukunft Ihrer Partei entgegen?

Rulitschka: Die Union hat eine deutliche und sehr klare Warnung erhalten. Da ist die CSU ausdrücklich nicht ausgenommen. Um einer guten Zukunft entgegen zu sehen, braucht es ehrliche und lückenlose Analyse und in der Folge eine komplette Neukonzeption des Markenkerns der Union. Innere Sicherheit, Wirtschaft, starker Staat und vieles mehr. Von diesem Kern war im Wahlkampf so gut wie nichts mehr sichtbar – ein fataler Fehler.

BUMS: Lediglich in der Metropolregion München gingen Wahlkreise verloren. In ihrem Wahlkreis München Nord hat der CSU-Kandidat Loos zwar die Erststimmen gewonnen, bei den Zweitstimmen liegen aber die Grünen vorne. Wie erklären sie dieses örtlich begrenzte Phänomen?

Rulitschka: Erstens wissen einige bürgerliche Wähler, dass man nur mit der Erststimme für den CSU-Kandidaten eine nicht-linke Direktvertretung im Bundestag erreichen kann und zweitens war Bernhard Loos sehr fleißig in den letzten Monaten auf den Straßen in seinem Wahlkreis unterwegs.

BUMS: Laut Forschungsgruppe Wahlen und ZDF kam die Union bei 18-29 Jährigen auf 11 Prozent. Sind das schlechte Aussichten für konservative Kernthemen bei Jungen Wählern?

Rulitschka: Wir werden bei den Jüngeren zu sehr als Rentnerpartei wahrgenommen. Die Grundwerte der Union würden eigentlich hervorragend zur heutigen Jugend passen. Nur werden wir nicht als Chancenpartei für eine gute Zukunft gesehen, sondern eher als Partei des Status Quo. Auch hier gilt: selbst verschuldet.

BUMS: Hätte eine anderes Wahlprogramm mehr Stimmen bringen können? Von personeller Verjüngung scheinen auch Grüne und SPD profitiert zu haben.

Rulitschka: Das Wahlprogramm selbst war nicht schlecht. Es wurde aber schlecht kommuniziert. Es wurde eine beliebige, sehr zeitgeistige Union verkauft, der man schwer abgenommen hat, mit neuen Ideen dieses Land nach vorne zu bringen. Das hätte man auch schon mit dem bestehenden Wahlprogramm deutlich anders machen können.

BUMS: ”Einen echten Neuanfang” hat Marcus Mündeln, der Landesvorsitzende der Jungen Union Sachsen gefordert. Und den Rücktritt von Armin Laschet gleich dazu. Wäre mit Markus Söder mehr zu holen gewesen?

Rulitschka: Gut möglich, dass mit Markus Söder mehr drin gewesen wäre, aber nach hinten zu schauen bringt uns nicht weiter. Das Ergebnis wurde eingefahren, die Bundestagswahl ist vorbei. Jetzt heißt es daraus lernen, inhaltliche wie personelle Konsequenzen ziehen und es beim nächsten Mal wieder besser machen.

BUMS: Sie haben einen Antrag unter dem Titel “Gendern? Nein, danke!” an die Bundesversammlung der Jungen Union eingebracht. Dort fordern sie “in sämtlichen Behörden, Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen” keine gegenderte Sprache zu verwenden. Wird die Union in Zukunft zur Verbotspartei?

Rulitschka: Nein, wird sie nicht, aber die Union muss den Rahmen setzen, um bestmögliche Freiheit für den Einzelnen zu gewährleisten.
Wie Sie persönlich sprechen und schreiben ist Ihre Sache. Vom Staat und seinen Institutionen erwarten wir aber objektive Neutralität und die Einhaltung der deutschen Rechtschreibung. Wo Klausuren schlechter bewertet werden, weil eine grammatikalisch falsche Gendersprache nicht angewendet wird*, da muss man klar dazwischen gehen, um die Freiheit des Einzelnen zu schützen.

*BUMS-Factcheck: Eine ähnliche Aussage traf Markus Söder (CSU) im Bundestagswahlkampf, nachdem ihm offenbar bei einem Event des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) von ähnlichen Vorfällen geschildert wurde. Söder bat daraufhin öffentlichkeitswirksam den bayrischen Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) dies zu ändern. Allerdings: eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung an allen staatlichen bayrischen Universitäten und Hochschulen widerlegte die Vorwürfe. Alle 24 Universitäten und Hochschulen, die auf die Anfrage der SZ antworteten, versicherten dass es dort keinen “Genderzwang” oder Ähnliches geben würde. Im April diesen Jahres berichtete der hessische Rundfunk (HR) über einen Fall an der Universität Kassel. Dort sei der Lehramtsstudent Lukas Honemann schlechter bewertet worden, da er nicht gegendert hätte. Honemann ist Vorsitzender des RCDS-Kassel und Geschäftsführer der Kreistagsfraktion der CDU im Landkreis Kassel. Laut HR gibt es in seinem Fall keine schriftlichen Nachweis mehr, der eine schlechtere Bewertung aufgrund ausgebliebenen Genderns belegt. Dem HR gegenüber erklärte Honemans damalige Dozentin Dorit Bosse, dass der Inhalt ihrer jährlichen Einführungsvorlesung um die Grundlagen des Wissenschaftlichen Arbeitens geht, darunter auch Sprachsensibilität. Noten gebe es dabei nicht, nur “bestanden” und “nicht bestanden”. Honemann, der sich laut HR nicht erinnern kann, vorher informiert worden zu sein, dass er Gendern soll, verlor einen Teilpunkt in der ersten von drei Aufgaben, bestand ohne Probleme. Dozentin Bosse benotet laut Hessischem Rundfunk ab dem zweiten Semester Gendern nicht mehr. Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Kassel, Silke Ernst, sagte dem HR eine Pflicht oder Regel zum Gendern gäbe es nicht.

BUMS: Ihr Kreisverband fällt durch interaktionsstarke, aber auch umstrittene Postings im Internet auf. Gleichzeitig bestellen Sie tausende Sticker gegen das Gendern. “Mutter und Vater statt Elternteil!”, so eine Aufschrift. Inwiefern nutzen Ihnen Polarisierung und bewusste Provokation im Wahlkampf?

Rulitschka: Polarisierung gehört dazu, um Unterschiede zu verdeutlichen und Diskussionen auszulösen. Gerade Jugendorganisationen dürfen sich auch etwas frecher in eine Debatte einschalten und mal auf den Putz hauen. Wir finden mit unserer Kommunikation deutschlandweit in der Union statt und sind eine vielbeachtete Stimme der Basis, welche bis in die höchsten Kreise der Union aufmerksam verfolgt wird.

BUMS: Sie selbst sagen, Sie zielen auf ein nationalkonservatives Publikum ab. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Maßen hat trotz deutlicher inhaltlicher Annäherung kein Bundestagsmandat errungen, eine Mahnung für die Zukunft?

Rulitschka: Diese Zuspitzung stammt von der BILD-Zeitung und seitdem wird es immer so zitiert. Gesagt habe ich aber damals, wir decken mit unserer Social Media Arbeit die gesamte konservative Hälfte der Union ab, von der Mitte der Partei bis zum Nationalkoservativen, der auch bei uns zu Hause ist. Eine Verengung auf kleine Gruppen ist für eine Volkspartei wenig zielführend. Aber wir dürfen nicht damit aufhören, von den Rändern in die Mitte zu integrieren. Das bedeutet auch, die volle inhaltliche Bandbreite sichtbar zu machen. Wir tragen dazu aktiv bei.

BUMS: Die Erfahrungen aus der letzten Landtagswahl zeigen, trotz inhaltlicher Annäherung an Rechtsaußen wählen stark konservative Wähler lieber AfD, dafür gehen in der Mitte stimmen verloren. Jetzt bei der Bundestagswahl wurde für Zukunftsthemen von jungen Wähler*innen auf FDP und Grüne gesetzt. Welche inhaltliche Ausrichtung wünschen sie sich als junger Konservativer für die Zukunft?

Rulitschka: Ich wünsche mir eine Renaissance bürgerlicher Werte und eine Erneuerung des Aufstiegsversprechens. Sprich: wer mehr tut als andere, muss unabhängig von Herkunft und Vermögenssituation Chancen haben, in unserem Land aufzusteigen und zum Beispiel eine eigene Immobilie zu realisieren. Denn gute bürgerliche Politik setzt den ordnungspolitischen Rahmen und lässt den Menschen maximalen Raum sich individuell entfalten und sich selbst verwirklichen. In diesen Bereichen gibt es heute wieder sehr viel zu tun.