Interview mit Achim Seger über das Konzept von Peace Love and Unity in der Realpolitik

»Rassismus ist ein Strukturelles Problem und das braucht auch strukturelle Antworten.«

Achim “Waseem” Seger ist Bundestagskandidat von “Die Urbane - Eine HipHop Partei” im Wahlkreis München Nord. Mit BUMS sprach der 1985 geborene MC, DJ und Veranstalter darüber, warum er die Bezeichnung Aktivist, der des Politikers vorzieht. Im weiteren Verlauf wird geklärt, ob die Hiphop Partei eine Akademiker Partei ist und wie der intersektionale Ansatz im Parteiprogramm gefunden wurde.

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    Liv Ergang
    Jonas Janker
  • [tags]
    Interview
    Wahljahr 2021
    Die Urbane
  • [meta]
    24.09.2021

BUMS: Sie sind in Vaterstetten, einem eher beschaulichen Vorort von München aufgewachsen. Wie sind sie zum Hiphop gekommen?

Seger: Zum Hiphop auf jeden Fall erstmal durchs Hören. Ich war einer der Wenigen, oder größtenteils der einzige nichtweiße Junge. Und habe auch schon immer Rassismuserfahrungen gemacht, die wurden dann auch immer heftiger.
Als Jugendlicher auch mit richtigen Neonazigruppen, auf den ganzen Volks- und Bierfesten, in den Jugendzentren und so.
Da kam irgendwann Hiphop in mein Leben.
Und irgendwann habe ich auch die Texte verstanden und gemerkt, dass es da oft um ähnliche Erfahrungen geht, eben oft um Rassismus, Ausgrenzung oder alle möglichen Emotionen und Gefühle.
Ich bin auch nicht so wohlhabend aufgewachsen. Als Jugendlicher hatte ich dann auch Kontakt mit Drogen. Also vieles in meinem Leben hat mit Texten übereingestimmt.
Und irgendwann habe ich auch angefangen das selber zu machen, erst so freestylemäßig mit Freunden, bisschen rappen.
Bei mir ging es professionell erst während dem Studium los. Da war ich dann DJ im Milla Club. Und dann bin ich irgendwann auch selber zum Rappen gekommen.

BUMS: Das ist jetzt alles ziemlich jung und cool: sowohl DJ , Aktivist als auch Rapper. Wollen sie denn überhaupt die altbackene Bezeichnung des Politikers in ihrer Vita?

Seger: Ne, ich sehe mich gar nicht als Politiker. Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass ich das werde. Aber im Moment bin ich ja Aktivist. Ich sehe mich eher als vorbereitende Person, die es ermöglicht, dass sich dann mal junge Menschen, die auch wirklich politische Ambitionen haben, leichter zurechtfinden.
Ich sehe mich eher als jemanden der die Hürden für andere abbaut. Aber ich würde schon auch ein politisches Amt antreten, wenn es wirklich so weit kommen sollte. Wenn die Plätze und Räume für Menschen wie mich in der Politik da wären. Dann ist es mir auch egal, wie man mich bezeichnet (lacht), da gehts mir eher um die Sache.

BUMS: Ist die Urbane eine Protestpartei? Wenn ja, wogegen wird protestiert?

Seger: Ich würde sagen, es ist schon eine Protestpartei. Weil Hiphop an sich ist ja schon eine Protestkultur. Hiphop ist im Kontext von politischen Missständen entstanden. Von Rassismus betroffenen Menschen, von ausgegrenzten Menschen, von ghettoisierten Menschen, die wenig Perspektiven hatten: die haben sich dadurch selbst ermächtigt.
Das machen wir jetzt eben auf politischer Ebene auch, deswegen würde ich sagen: Ja, die Urbane ist eine Protestpartei.
Gegen Rassismus, aber auch Protest für bestimmte Themen. Beispielsweise der Protest für die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft.
Für Peace Love and Unity, diese HipHop-Werte, die auch in der Kultur von Anfang an ganz stark verankert waren.

BUMS: Das sind dann auch die Ziele mit der die Urbane bei der Wahl antritt?

Seger: Genau, wir haben jetzt auch, natürlich in relativ langer Arbeit, eigentlich nur ausschließlich ehrenamtlicher Arbeit mit den Communities versucht diese Hiphop-Werte und Ansätze auf politische Ziele zu übertragen. Das ist sicherlich noch nicht ganz fertig Aber wir haben ein ziemlich langes Programm. Und da steht dann auch sowas drin wie Dekolonisation, Black Studies einführen, Racial Profiling abschaffen. Einfach Repräsentanz von marginalisierten Gruppen auf allen Ebenen schaffen und verstärken.

BUMS: Sie haben eben gesagt dass in der Hiphoppartei ehrenamtlich gearbeitet wird. Jetzt würde ein Stimmenanteil von 0,5 Prozent bei der Bundestagswahl für die Parteienfinanzierung ausreichen. Wie gehts dann weiter?

Seger: Also natürlich treten wir jetzt mit Full Power an und versuchen die fünf Prozent zu erreichen (…), aber die 0,5 Prozent sind für uns ein realistischeres Ziel. Auch das ist nicht einfach. Wir müssen erstmal auf uns aufmerksam machen, erstmal bekannt werden, dass die Leute uns überhaupt sehen und hören. Und wenn wir 0,5 Prozent schaffen würden, dann hätten wir eben ein bisschen finanziellen Spielraum für die nächste Legislaturperiode. Und wir könnten Kampagnen für diese Themen machen. Und wir könnten versuchen uns in den nächsten vier Jahren so gut vorzubereiten, dass wir dann wirklich eine realistische Chance haben. Weil die Zeit rennt ein bisschen, Rassismus ist ein Strukturelles Problem und das braucht auch strukturelle Antworten.

BUMS: Sie sagen, an den Song „Rap ist“ von Megaloh und Max Herre angelehnt: „Einzige Partei wo man das was man sagt auch verkörpern muss.“ Was ist damit gemeint?

Seger: Also, das Megaloh Zitat ist ja „Einzige Mucke wo man das was man sagt auch verkörpern muss.“ Ich spreche da jetzt eher von der Hiphopkultur.
Für mich ist das: Ich bin wirklich Hiphop, ich lebe das. Wir möchten wirklich antirassistische, dekolonialisierte Politik machen. Diese Partei ist ein Lernprozess. Wir möchten Perspektiven kennenlernen, die wir noch nicht kennen. Das ist dieser intersektionale Ansatz. Also, dass ich mich zum Beispiel als privilegierter Mann oder männlich gelesene Person, mit nicht cis-männlichen Personen verbrüdern oder verschwestern kann. Oder dass ich mich für Barrierefreiheit einsetzen kann, obwohl ich selbst nicht von der Gesellschaft behindert werde.
Das sehe ich in diesem Aspekt. Man muss es Wirkich selbst machen, selbst leben und sich selbst weiterbilden und offen sein für neue Perspektiven die eben noch unterrepräsentiert sind. Das ist für mich eigentlich der tiefere Gedanke bei diesem Zitat.

BUMS: Um das Wahlprogramm zu verstehen muss man Begriffe wie Intersektionalität oder Dekolonialisierung kennen, die sie jetzt bereits erwähnt haben. Ist die Hiphoppartei eine Akademikerpartei, oder eine Partei für die Bubble?

Seger: Also Akademiker würde ich nicht sagen, für die Bubble aber schon. Auf jeden Fall sind wir erstmal in der progressiven Aktivist*innenbubble und von daher kommen auch die Forderungen und das Wording. Wir haben schon noch den Anspruch an uns, diese ganzen Fremdbegriffe und Fachwörter, die wir selber auch größtenteils erst lernen und uns aneignen mussten, dass wir die auch übersetzen, in leichte Sprache. Also es sind ja oft auch Selbstbezeichnungen oder Konzepte die in den betroffenen Communities entwickelt werden. Die bilden für uns natürlich die erste Referenz.
Auf der anderen Seite sehe ich es schon auch so, dass es Aufgabe der Wähler*innen ist, sich weiterzubilden, sich weiter zu informieren. Und wenn man zum Beispiel das Wort Dekolonisation nicht versteht, dann kann man es ja googeln. Ich mach das auch manchmal auf meinen Konzerten, dass ich sage: ‚Wenn ihr jetzt auf die Toilette geht dann googelt mal das Wort Intersektionalität.‘ Wir möchten auf verschiedenen Ebenen Leute ansprechen. Sowohl die Leute, die auf diese Wörter warten, als auch die Allgemeinheit, die davon vielleicht noch nie was gehört hat.

BUMS: Im Wahlprogramm steht auch Hiphop sei für BIPOC in Deutschland der Missing Link geworden, was verstehen sie darunter?

Seger: Das HipHop eben eine schwarze Kultur ist und von nichtweißen Menschen erfunden wurde und praktiziert wurde. Und immer noch praktiziert wird. Als Gegenprotest eben zu weißer Vorherrschaft. Und ich glaube diesen Link, den haben noch nicht viele verstanden. Wenn man heute Hiphop-Partei liest, dann denken viele und vielleicht auch viele BIPOC: ‚Hä, was soll dass den sein? Hiphop-Werte‚ was soll dass denn sein? Sex, Drogen, Gucci Gucci, Rollie Rollie?‘ (Rollie, kurz für Rolex, Anm. d. Red.) Nein, das ist es eben nicht. Sondern Empowerment, Repräsentation und antirassistische Protestkultur.

BUMS: Sind sie manchmal enttäuscht davon, dass der Antirassismus der jetzt thematisch von der Urbanen belegt wird nicht von den Altparteien im Bundestagswahlkampf eingebracht wird?

Seger: Ja, ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht. Weil die anderen Parteien würden dass wenn dann sehr oberflächlich und so ein bisschen Black-Washing-mäßig betreiben. Wir können nicht in weißen Räumen von weißen Personen erwarten, dass antirassistische Arbeit geleistet wird. Sondern das muss auch mit den Communities und den Betroffenen Zusammen passieren. Und das passiert in den anderen Parteien nicht- deswegen können die sich gerne Antirassismus auf die Fahne schreiben. Gerne. Wichtig. Überall soll das passieren. Aber wenn man das nachhaltig und wirklich strukturell machen will, dann kann das nicht weiß dominiert sein. Das ist auch für uns die Existenzgrundlage, das wir sagen, wir möchten eine nicht weiß dominierte Partei sein. Weil es das einfach braucht in Deutschland, es gibt sonst keine Partei die nichtweiße Perspektiven vertritt.

BUMS: Letzte Frage, was wünschen sie sich für die Zukunft?

Seger: Ich wünsche mir Gesundheit auf allen Ebenen. Sowohl persönlich, als für meine Familie als auch für alle Menschen die an meiner Seite stehen. Aber auch gesellschaftliche Gesundheit. Wir müssen alle Körperteile der Gesellschaft anschauen. Und im Moment ist unsere Gesellschaft Krank, manche Teile werden einfach missachtet . Manche Teile des Körpers werden abgestoßen, werden nicht akzeptiert, nicht angenommen. Überall, was die Ernährung angeht, die Umwelt angeht, das Miteinander angeht. Und da wünsche ich mir Gesundheit auf allen Ebenen.