Die BUMS-Analyse zur Bundestagswahl und den anstehenden Koalitionsverhandlungen

Boomer im Bundestag? Millenials an die Macht!

Wie hat sich die Altersstruktur der Bundestagsfraktionen verändert? Wie hat die junge Wählerschaft gestimmt? Welche Gemeinsamkeiten gibt es bei den Parteien, die jetzt noch miteinander koalieren können? Und warum sehen manche aus FDP und Grüne in Jamaika plötzlich eine red flag?
Die ausführliche BUMS-Analyse zur Wahl und der Frage, was sie für die Zukunft bedeutet.

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    Jonas Janker
    Jonas Well
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    Wahljahr 2021
    Boomer
    Millenials
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    01.10.2021

Die Union hat wenig Grund zur Freude dieser Tage. Nach dem schlechtesten Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit dem zweiten Weltkrieg, wird nun der Kampf um die zukünftige Ausrichtung der Partei in aller Öffentlichkeit geführt.
Auf der einen Seite sprechen sich Parteigrößen wie Gesundheitsminister Spahn oder Wirtschaftsminister Altmaier für eine personelle und inhaltliche Erneuerung aus, während die Unions Fraktionsvize Connemann oder der ehemalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Mappus keinen Regierungsauftrag für die CDU sehen und eine Neuausrichtung in der Opposition fordern.
Auf der anderen Seite drängt das Lager um den Parteivorsitzenden Laschet auf eine Jamaika-Koalition und Regierungsverantwortung. Erfolgsaussichten ungewiss, ist man dabei doch auf die Gunst der Grünen und der FDP angewiesen. Diese umwirbt allerdings auch Wahlsieger Scholz, denn auch die SPD braucht beide zum Regieren.

Das Wahlergebnis

Die Ausgangslage könnte für die vier Stärksten Parteien nicht unterschiedlicher sein. An erster und zweiter Stelle stehen SPD (25,7 Prozent) und Union (24.1 Prozent). Ihre Gemeinsamkeit: Beide Parteien haben noch am Wahlabend einen Regierungsauftrag für sich aus dem Ergebnis abgeleitet. Armin Laschet mit dem Verweis, dass schon öfter Zweitplatzierte eine Regierung gebildet haben, Olaf Scholz dagegen mit dem Wahlsieg im Rücken. Sicher scheint momentan lediglich, dass die kommende Bundesregierung aller Voraussicht nach aus einem Bündnis dreier Parteien bestehen wird, eine Zusammensetzung, die es in der Bundesregierung bisher nicht gab.

Die beiden ehemaligen Volksparteien, die nun mit gut einem Viertel der Stimmen auch als solche bezeichnet werden müssen, sind nun bei der Regierungsbildung auf die Grünen und die FDP angewiesen.
Die Liberalen sind mit 11.5 Prozent der Stimmen zum ersten Mal in zwei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden zweistellig gewählt worden. Im Vergleich zu 2017, als man noch 10.7 Prozent holte, legt die Partei nun leicht zu. Die Grünen hingegen bringen es mit 14.8 Prozent nicht nur auf ihr bestes Ergebnis seit der Parteigründung, sondern auch auf den Platz der drittstärksten Partei - allerdings mit durchaus weniger Stimmen als erhofft. Hinter FDP und Grünen folgt die AfD, die trotz 10.3 Prozent der Stimmen, in ihrer zweiter Legislaturperiode im Bundestag, ohne jegliche Chance auf Koalitionsbildung da steht. Komplett abgeschlagen erreicht die Linke lediglich 4.9 Prozent und zog nur aufgrund von ausreichenden Direktmandaten in den Bundestag ein. Vor allem aufgrund dieses schwachen Ergebnisses der Linkspartei hätte eine Rot-Rot-Grüne Koalition keine Mehrheit im Bundestag.

Die Jugend hat neue Volksparteien

Schaut man sich den unteren Teil der Alterspyramide an wird klar, vor allem hier wurden FDP und Grüne gewählt. Dass ohne sie keine Regierung abseits einer unerwünschten Neuauflage der großen Koalition möglich ist, liegt auch an der Beliebtheit bei den jungen Wählern.
CDU und SPD liegen in dieser Altersgruppe zwischen 10 und 15 Prozent und werden lediglich von Linken mit 8 und AfD mit 7 Prozent unterboten. Wieso sind also FDP und Grüne unter den jüngsten Wähler*innen so beliebt?

Klimaschutz und Freiheit als Gegenspruch und Generationenforderung

Bei den Grünen kommt das starke Ergebnis bei der jungen Wählerschaft nicht sonderlich überraschend. Direkt vor der Bundestagswahl hatten deutschlandweit noch über 600.000 junge Menschen bei Fridays for Future für einen konsequenteren Umgang der Politik mit dem Klimawandel demonstriert. Klimaschutz ohne Abstriche, auch mit Verboten wurde in den letzten Jahren oft als das zentrale Mantra dieser Protestgeneration geframed.
Die Richtigkeit dieser These, allerdings auch der deutliche Widerspruch dazu, können sich im Wahlergebnis der FDP in dieser Altersgruppe lesen lassen. Die Liberalen wollen zwar den Klimawandel bekämpfen, positionieren sich dabei aber für individuelle Freiheit. Umweltschutz durch Innovation, da scheint eine mögliche Koalitionsbasis mit den Grünen schnell gefunden. Die wiederum wollen aber nicht auf Innovationen warten sondern proaktiv handeln.
Andererseits, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen? In einer Regierung, in der die FDP beteiligt ist, wird sich das kaum durchsetzen lassen. Und nicht nur in der Frage wie genau der Klimawandel im Detail aufgehalten werden soll scheinen die beiden Parteien inhaltlich oftmals durch unüberbrückbare Gräben getrennt zu sein. Im Gegensatz zu 2017, als Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition platzten, scheinen dieses Mal beide Parteien fest entschlossen, endlich wieder Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Grün-Gelbes Pärchen sucht Partner für Dreier

Und das wird ernst genommen. “Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.” - Das pfiffen am Mittwoch nicht etwa die Spatzen von den Dächern. Es war der Wortlaut der Instagrampostings der FDP-Granden Christian Lindner und Volker Wissing sowie der Grünen Doppelspitze Annalena Baerbock und Robert Habeck. Ein Foto - das gewollt oder auch nicht - zum Meme wurde. Auch das verrät einiges über die Popularität bei den Social-Media-affinen Jungwähler*innen. Über die Inhalte der Gespräche ist bislang nichts bekannt.
Singen tun die Vögel derweil aus dem innersten Zirkel der Union.
Egal ob aus Gesprächen im Vorstand, oder der Planung von Sondierungsgesprächen - weitergetragen wird so ziemlich alles. Und darüber zwitschert dann der stellvertretende BILD-Chefredakteur auf Twitter, oder liest SMS-Nachrichten aus dem inneren Zirkel direkt nach Empfangen live im hauseigenen TV-Sender vor. Dank Karin Prien, Bundesvorstand Mitglied der CDU und Bildungsministerin in Schleswig Holstein trendete daraufhin der Hashtag #Handy-Alarm, den sie als “traurige Chiffre für die Totengräber jedweder vertrauensvollen Zusammenarbeit” bezeichnete.
Eine Charade, unter den Augen der Öffentlichkeit wie eine Staffel Big Brother.

Jamaika ist die letzte Hoffnung der Union

Ebenfalls mit Blick auf die Union äußerte sich FDP-Vize Wolfgang Kubicki bei RTL: ”Momentan ist es so, dass wir mit großen Kinderaugen uns anschauen, was bei der Union gerade passiert. Sie zerbröselt von Stunde zu Stunde. Und wenn sie keinen vernünftigen Ansprechpartner mehr haben, keinen starken Mann oder keine starke Frau, mit wem wollen sie denn verhandeln und worüber?“.
Bereits am Freitag treffen sich Grüne und Liberale noch einmal in größerer Runde.
Eine Jamaika-Koalition wünscht sich der Großteil der Grünen-Anhänger nicht. Fraktionschefin Kathrin Göring Eckhardt äußerte sich gegenüber den Zeitschriften der Funke Mediengruppe ähnlich kritisch wie Kubicki: "Ich sehe im Moment nicht, dass man die Union für sondierungsfähig halten könnte, geschweige denn für regierungsfähig”.
Ähnlich sieht man es auch in den eigenen Reihen. Der Vorsitzende der Jungen Union forderte Armin Laschet gar zum Rücktritt als Parteivorsitzender auf. CSU Vorsitzender Markus Söder ist derweil der Grund warum die Union erst Sonntags die FDP zu Gesprächen trifft. Freitags kann er nicht teilnehmen, da hat Edmund Stoiber, der ehemalige bayerische Ministerpräsident Geburtstag, Samstags stehen Sitzungen in mehreren Bezirksverbänden der CSU an. Im Interesse des CDU Vorsitzenden Armin Laschet dürfte ein möglichst frühes Gespräch mit der FDP gewesen sein. Der Kanzlerkandidat der Unionsparteien verweilt Freitagabend übrigens ebenfalls auf Stoibers Geburtstagsfeier. Sollte es nicht zu einer Regierungsbeteiligung kommen, dürfte der ohnehin angezählte Laschet den Parteivorsitz verlieren. Unter Zugzwang werden die C-Parteien von der FDP allerdings nicht gesetzt. Ein Treffen mit der SPD plant man dort erst für Dienstag. Weiterhin betont Volker Wissing die Präferenz der Liberalen für ein Jamaika-Bündnis. Interessant allerdings: vor dem Bundestagswahlkampf war Wissing noch Finanzminister in Rheinland-Pfalz. 2016 handelte er dort die Ampel-Koalition mit Grünen und SPD aus.

Die Hürden der Ampelkoalition

Ebenfalls am Sonntag treffen sich Grüne und SPD zu ersten Sondierungsgesprächen. Im letzten Triell legte sich Olaf Scholz bereits fest, er würde gerne in einem Bündnis regieren, Annalena Baerbock hingegen vermied eine solche Zusage. Ihr Vorstandskollege Habeck handelte in Schleswig-Holstein die Jamaika-Koalition mit Wolfgang Kubicki aus. Beide Modelle wurden also auf Landesebene schon umgesetzt. Als Indikator für die nun anstehenden Sondierungen lassen sich allerdings nicht nur die Äußerungen von FDP und Grünen über den Zustand der Union deuten. Dazu kommt: Sozialdemokraten und Grüne stellen die jüngsten Bundestagsfraktionen. In den beiden neuen Fraktionen dieser Parteien wurden viele Boomer durch Millennials abgelöst, die nicht nur deutlich jünger sind, sondern auch in beiden Fällen deutlich weiter links stehen. Etwa ein Viertel der neuen SPD Bundestagsabgeordneten sind Jusos, die traditionell deutlich linkere Positionen als das Parteiestablishment um Olaf Scholz vertreten.
Die vermehrt linke Grundausrichtung der neuen SPD und Grünen Fraktion könnte sich im Hinblick auf Koalitionsverhandlungen mit der FDP als problematisch erweisen.
Trotzdem, einen Regierungsauftrag für die Ampelparteien könnte man daraus ableiten, dass sie alle bei der Wahl Stimmgewinne verbuchen konnten. Auf die Union trifft das Gegenteil zu.
Ein weiterer wichtiger Indikator: Der Wählerwille. Bei einer Blitzumfrage von Infratest Dimap im Auftrag der ARD sprachen sich 55 Prozent der Befragten für eine Ampelkoalition und Olaf Scholz als Kanzler aus. 41 Prozent der FDP-Anhänger*innen favorisieren demnach diese Option, bei den Grünen sind es 81 Prozent. Im Umkehrschluss würde eine knappe Mehrheit von 51 Prozent der FDP Anhänger*innen eine unionsgeführte Regierung bevorzugen, bei den Grünen sind es lediglich 16 Prozent.

Trotz der inhaltlichen Differenzen zwischen den drei möglichen Koalitionspartnern scheint die Ampel tendenziell möglich. Doch erst die Sondierungs- bzw. Koalitionsgespräche der nächsten Tage und Wochen werden zeigen auf welche Koalitionsoption sich FDP und Grüne verständigen können. Trotz der komplizierten Gespräche die nun bevorstehen verbreiten die beteiligten Parteien die optimistische Einschätzung dass, es schon bald zu einer Einigung kommen könnte. Im Gegensatz zu den Jamaica Verhandlungen von 2017 soll es diesmal nicht so lange dauern. In wie weit dies angesichts der beiden möglichen Koalitionsoptionen, der teils tiefen Gräben zwischen FDP und Grünen und der neuen Zusammensetzung der Fraktionen der Grünen und SPD möglich sein wird, bleibt allerdings abzuwarten.