Afghanistans übergangene Revolutionär*innen

Revolutionäre Frauen in Afghanistan liefern seit Jahrzehnten politische Analysen. Anstatt ihre Positionen ernstzunehmen werden sie im deutschen Diskurs als hilfsbedürftige Opfer inszeniert, für antimuslimische und rassistische Argumentationslinien instrumentalisiert und von allen Seiten bevormundet. Schluss damit. Hört doch einfach mal zu!

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    Hannah Mugaragu
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    Kolumne
    Afghanistan
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    20.10.2021

Zwei Monate ist der Rückzug der NATO-Mächte und die Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan her. Der Medienrummel hat sich ein wenig gelegt und nur wenige scheinen sich noch für die Menschen, die in diesem Moment noch immer um ihr Leben und ihre Lieben bangen; für die, die ihr Zuhause verloren haben; für die, die nur angsterfüllt in die Zukunft blicken können, zu interessieren. Im öffentlichen Diskurs ging es damals viel um die Frauen und Mädchen in Afghanistan. Wieso eigentlich und wer denkt jetzt noch an sie?

Die Art und Weise, wie die Leitmedien über das Thema Afghanistan berichten, suggeriert, dass Deutschland in diesem Krieg auf der Seite der “Guten” stand und Wertvolles geleistet hat. Diese verquere Auffassung gipfelte im “Großen Zapfenstreich”, der am 13. Oktober vor dem Berliner Reichstag zu Ehren der etwa 93.000 Afghanistan-Veteran*innen stattfand. Die eigene Verantwortung an der momentanen humanitären Krise, das Versagen der westlichen Politik und eine kritische Einordnung von sogenannten “Peacebuilding-Maßnahmen” werden kaum thematisiert. Dabei gibt es solide Einwände gegen letztere, wie beispielsweise die Friedens- und Konfliktforscherin Mechthild Exo in ihrem Buch “Das übergangene Wissen. Eine dekoloniale Kritik des liberalen Peacebuilding durch basispolitische Organisationen in Afghanistan” darlegt.

Ein anderes Narrativ, das immer wieder bespielt wird, ist das der hilflosen Frau, die in muslimisch geprägten Ländern unterdrückt und ausgebeutet wird. Dementsprechend beschränkten sich Solidaritätsbekundungen deutscher Politiker*innen häufig auf diejenigen, die leicht als passive Schutzbedürftige objektifiziert werden können und gleichzeitig die eigene Rolle als Retter*in in der Not besonders effektiv betonen: Frauen und Kinder. Während diese tatsächlich eine besonders schutzbedürftige Gruppe darstellen –und zwar in jedem einzelnen Land dieser Erde, da wir immer noch im gewaltvollen globalen Patriarchat leben- ist es anmaßend und manipulativ, den struggle afghanischer Frauen für bevormundende und konservativ-rechte Politiken zu instrumentalisieren.

So forderte beispielsweise die in den 60ern hängengebliebene, rechtsoffene “Frauenrechtlerin” Alice Schwarzer in ihrem Magazin emma, dass Deutschland nur noch Frauen und Kinder aufnehmen solle, da sich schon bald vermehrt Terroristen unter die Geflüchteten aus Afghanistan mischen würden. Damit folgt sie einer antimuslimischen Argumenationslinie, die afghanische Männer mithilfe von rassistischen Vorurteilen zu nicht schützenswerten, potentiellen Terroristen und Vergewaltigern degradiert und entmenschlicht. White feminism at its best. Zudem werden in einem solchen Diskurs andere Gruppen, die vom patriarchalen Taliban-Regime ebenso betroffen sind, z.B. gays/queers/trans/inter/nicht-binäre Menschen, überhaupt nicht beachtet.

Dieser paternalistische Ansatz findet sich auch in anderen, jüngeren feministischen Zusammenschlüssen und zeigt, dass rassistische Vorstellungen auch in vermeintlich progressiven Bewegungen zu finden ist, wie zum Beispiel Femen seit etwa zehn Jahren immer wieder zeigt. Ihre Vertreter*innen sind der Ansicht, dass der Hijab und andere muslimische Körperbedeckungen ausnahmslos ein Zeichen der Unterdrückung seien und posieren bei politischen Aktionen als Zeichen ihres Protestes nackt und mit Hijab in der Öffentlichkeit. Was provokant gemeint ist und schocken soll, ist plain racism, kulturelle beziehungsweise religiöse Aneignung, gepaart mit unverhohlener Respektlosigkeit. Vor lauter Rebellionslust merken sie nicht, dass sie diejenigen sind, die Menschen mit Hijab ihr Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit, zu entscheiden, was sie tragen möchten, absprechen.

In Afghanistan selbst gibt es schon lange verschiedene feministische Bewegungen, die die gesellschaftspolitische Situation analysieren und klare Forderungen stellen. Sie werden jedoch in westlichen Diskursen konsequent ausgeschlossen und überhört. Zum Beispiel die Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (zu deutsch: revolutionäre Vereinigung der Frauen aus Afghanistan), kurz RAWA. Bereits zu Beginn des NATO-Einsatzes in Afghanistan, im März 2002, veröffentlichte RAWA ein Statement, in dem es heißt: „One fundamentalist band cannot be fought by siding with and supporting another […] there is no precedent in history wherein a foreign nation […] has granted liberty to a nation held in thrall by those very same agents.“

Die Revolutionär*innen warnten davor, dass diese Intervention in Machtspielen zwischen imperialistischen Staaten mit eigenen Wirtschaftsinteressen und den afghanischen Fundamentalist*innen mit Machtanspruch enden und das Land in Chaos und Verderben stürzen würde. Die politische Analyse der revolutionären Frauen ergab: Allein das afghanische Volk wird sich vom Terror – sowohl vom fundamentalistischen als auch vom imperialistischen –, und von patriarchaler Unterdrückung befreien können. Ohne Kapitalmächte, die sich nur den eigenen politischen Einfluss und damit einhergehenden Zugang zu natürlichen Ressourcen sichern wollen oder geopolitische Strategien im Hinterkopf haben. Ohne vermeintliche Retter*innen, die aus einer eurozentrischen Perspektive heraus agieren und ihre eigenen Wertvorstellungen dogmatisch durchsetzen wollen.

Feminist*innen hierzulande sollten darauf vertrauen, dass diese Frauen selbst wissen, wie sie ihre Kämpfe führen wollen. Sie sollten sie dabei unterstützen, statt afghanischen Lebensrealitäten mit westlicher Überheblichkeit entgegenzutreten.