Ohne Moos nix los? Demokratie in Germoney

Etwa 15 Millionen Wahlberechtigte haben bei der Bundestagswahl 2017 keine Stimme abgegeben, weiteren Zehn Millionen Menschen wird das Recht zur Wahl von Vornherein verwehrt, weil sie keinen deutschen Pass besitzen. Bei der Entscheidung wie sich das Parlament zusammensetzt, fehlen also die Stimmen von gut einem Drittel der Menschen, die in Deutschland leben. Da kommt die Frage auf: Wer macht hier eigentlich Politik - und für wen?

  • [authors]
    Hannah Mugaragu
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    Kolumne
    Wahljahr 2021
    Demokratie
  • [meta]
    20.09.2021

Vor ein paar Tagen sorgte die US-amerikanische demokratische congresswoman AOC auf der Met Gala in New York für Furore. Sie trug ein Kleid mit der Aufschrift „Tax The Rich“ und entfachte damit eine brennende Diskussion über performative linke Politik in den sozialen Medien. Währenddessen ist die hiesige Politlandschaft in der heißen Wahlkampfphase so trocken und uncharmant wie eh und je. Eine den Reichen in die Hände spielende Steuerpolitik, großzügige finanzielle Unterstützung von Wahlkampagnen durch private Wirtschaftsakteur*innen, der intransparente Einfluss von Lobbys auf politische Entscheidungen,– all das finden wir auch in unserem eigenen Parlament.

Die Frage ist, wie schaffen wir es bei solch neo-korrupten Strukturen, dass sich wieder mehr Menschen aus der Passivität befreien und sich für ihre politischen Belange einsetzen können - wo bleibt die sozialistische Massenbewegung? Im Laufe der letzten Jahrzehnte sank die Wahlbeteiligung tendenziell; bei der Bundestagswahl 2017 gaben etwa ein Viertel der Wahlberechtigten, also etwa 15 Millionen Menschen, keine Stimme ab. Studien zeigen, dass eine niedrige Wahlbeteiligung mit einer höheren Unzufriedenheit einhergeht und nicht etwa bedeutet, dass die Menschen zuhause bleiben, weil sie es gut finden, wie es gerade läuft. Vielmehr stehen Resignation und der fehlende Glaube, dass ihre Stimmabgabe eine reale Verbesserung ihrer Lebenssituation zur Folge haben kann, im Vordergrund.

Leider ist diese pessimistische Einschätzung durchaus gerechtfertigt: Das Team rund um den Politologen Armin Schäfer fand heraus, dass im Bundestag seit 1980 mehrheitlich Entscheidungen getroffen wurden, die eher mit den Interessen der Besserverdienenden übereinstimmen, als mit denen der sog. „sozial Benachteiligten“. Deutschland gehört innerhalb des Euroraums zu den Ländern mit der höchsten Vermögensungleichheit: 2017 hielt das oberste Prozent rund 18 Prozent des Gesamtvermögens - so viel wie die unteren 75 Prozent der Bevölkerung zusammen.

Ein Dilemma: Menschen, die in prekären Wohn- und Arbeitsverhältnissen leben, gehen weniger wählen, sind unterdurchschnittlich im Parlament repräsentiert - mittlerweile sind über 80 Prozent der Abgeordneten Akademiker*innen-, und werden zum Teil kategorisch von der Wahl ausgeschlossen, z.B. wenn sie keinen deutschen Pass besitzen. All das resultiert in einem Teufelskreis der Ausgrenzung und einer Gesetzgebung von Wohlhabenden für Wohlhabende.

Den Zehn Millionen migrantischen und migrantisierten Menschen ohne deutschen Pass, die zum Teil seit Jahrzehnten hier leben, arbeiten und am gesellschaftlichen Miteinander teilnehmen, wird das demokratische Fundamentalrecht auf Wahlen und somit ein wichtiger Grundstein der politischen Teilhabe komplett verwehrt. Politiker*innen fühlen sich nicht für sie verantwortlich und ignorieren gekonnt ihre Interessen, da sie in ihnen keine potentielle Wähler*innenschaft sehen, die es zu überzeugen gilt. Dadurch bleiben sie weiterhin an den Rand des gesellschaftspolitischen Geschehens gedrängt und von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.

Natürlich gibt es auch außerhalb des Parlaments Möglichkeiten, sich ins politische Geschehen einzubringen, was zahlreiche Ausländer*innenbeiräte, selbstorganisierte und autonome Gruppen bereits tun: Sie üben Druck auf politische Institutionen aus und stoßen durch vielfältige Aktionsformen gesellschaftlichen Wandel und Diskurse an. Dennoch ist die symbolische Strahlkraft des aktuellen Wahlrechts nicht zu unterschätzen. Schließlich vermittelt es schlicht und einfach: Ihr gehört nicht dazu. Euch bleibt ein fundamentales Recht auf Demokratie verwehrt, weil ihr nicht in unser rechts-konservatives Verständnis von an Nationalstaatlichkeit gekoppelter Staatsbürger*innenschaft passt.

Ganz gleich, ob gesetzlich festgelegter oder sozialer Ausschluss: Es scheint, als sei dieser „anti-partizipative Teufelskreis“ gewollt und als solle politische Teilhabe nicht für alle gleichermaßen zugänglich gemacht werden; zumindest sind die Barrieren hoch, das Outcome häufig frustrierend und der Ausschluss großer Personengruppen im Wahlsystem selbst verankert. Aber wen wundert es? Diejenigen, die momentan regieren und diejenigen, die vom kapitalistischen Wirtschaftssystem am meisten profitieren, leben schließlich ganz gut so, wie es ist.

Trotzdem – allein schon der Signalwirkung wegen – sollte das Wahlrecht für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt hier verorten und diesen mitgestalten und -beeinflussen wollen, unabhängig von ihrer Staatsbürger*innenschaft zugänglich gemacht werden. Es ist the barest minimum in einem Land, das sich demokratische Grundwerte und die sogenannte „Willkommenskultur“ so unglaublich gerne auf die Fahne schreibt.