Nieder mit dem Liberalismus

Die Jungen Liberalen fühlen sich nach der Wahl politisch gestärkt. Fast ein Viertel der wenigen jungen Menschen, die wählen durften, haben FDP gewählt. Knapp ein weiteres Viertel Grüne. Dabei braucht es endlich mehr junge Menschen, die linke Positionen vorantreiben.

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    Katharina Gebauer
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    Kolumne
    Wahljahr 2021
    Liberalismus
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    04.10.2021

Seitdem klar ist, dass die FDP mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten vier Jahren mitregieren wird, habe ich die Lust an Regierungsdiskussionen verloren. Ob Ampel oder Jamaika, Macker-Lindner und seine Minions werden am Start sein. Wütend macht mich dabei die Tatsache, dass gerade junge Menschen, insbesondere Erstwähler:innen mit ihrer Stimme bei der Bundestagswahl nach unten traten. Und nicht nach oben, obwohl genau in die Richtung wütende Kritik immer ein Muss ist.

So wirkt es, als sei die FDP jenseits von Digitalisierungsplänen an Schulen und Universitäten sowie dem Schreien nach Lockerungen während der Corona-Pandemie eine ernstzunehmende Option für die Zukunft. Politische Analysen zählen unter anderem genau diese Wahlkampfthemen als Gründe für den Zuwachs der FDP bei den 18-24-Jährigen mit neun Prozentpunkten mehr im Vergleich zu 2017. Mit 21 Prozent landen sie knapp auf dem zweiten Platz hinter den Grünen mit 23 Prozent. (Quelle: Infratest Dimap im Auftrag der tagesschau) Bei den Erstwählenden lag die FDP mit 23 Prozent gleichauf mit den Grünen auf Platz 1.

Mensch könnte meinen, die jungen Leute wüssten nicht, was sie wollen: Eine Zukunft auf dem Planeten - ja oder nein? Dabei ist ihr Anteil eher symbolisch als ausschlaggebend für die gesamte Wahl: Die Erstwählenden machen gerade einmal 4,6 Prozent der Wahlberechtigten aus. Den größten Anteil stellen mit gut einem Fünftel (21,3 Prozent) die über 70-Jährigen. Sie entscheiden anders als die jungen Menschen, geben sie ihre Stimme doch mehrheitlich der CDU (38 Prozent) und bestimmen damit über die Zukunft der jungen Generationen.

Die Partei nutzte unter anderem das Narrativ der "selbstlosen verzichtenden Jüngeren" während der Pandemie - sprich solidarisches Verhalten - als Lockmittel für ihr egoistisches Verständnis von individueller Freiheit. Hinzu kommt, dass die jungen Erwachsen frisch von der Schulbank ein Jahrzehnt lang kapitalistische Logik inhaliert haben: Mit harter Arbeit kannst du alles erreichen und dann sollst du dafür auch belohnt werden, indem du dein Vermögen anhäufen kannst, wo es keinem Menschen was nützt. In der Leistungsgesellschaft können es aber nicht alle nach ganz oben schaffen. Schuld daran ist der fehlende Wille, sich ausbeuten zu lassen und nicht etwa strukturelle Unterdrückungsmechanismen oder ungleiche Vermögensverteilung inklusive unterschiedlicher Bildungschancen. Ergo: Nach unten statt nach oben treten, der Kreis schließt sich.

Eine Erkenntnis ist daher, dass sich der liberale Gewinn ohne Gegenwirken in vier Jahren womöglich wiederholen wird - gesetzt den wahrscheinlichen Fall, die Gelben schaffen es, eine Legislatur unbehelligt den Status Quo fortzuführen. Linke Zukunftsvisionen müssen als junge Positionen sichtbarer gemacht werden und außerhalb der Parlamente verstärkt mit jungen Menschen organisiert werden. Sie dürfen nicht die Legitimierung und Garant dafür sein, dass Reiche Politik für sich selbst machen und individuelle Freiheit vor kollektive Solidarität stellen.

Denn, was will die FDP: Der Markt regelt sich von alleine, Kapital über Gesellschaftsinteressen und die Wirtschaft muss brummen. Spitzensteuersatz erst ab Spitzengehalt, weg mit dem Solidaritätszuschlag, steuerliche Entlastung von ausbeuterischen Unternehmen. Den Planeten erhalten ist ihnen offenbar nicht wichtig genug, um es mit der nötigen Ernsthaftigkeit anzugehen. Sie warten auf Geistesblitze und Technologien, die uns alle retten, statt nachweislich funktionierende Mittel wie ein Tempolimit auf Autobahnen zu nutzen, das sie als “Verbot” ablehnen.

Zu ihrer Definition von Freiheit gehört das Bestreben, die Grenzschutzagentur der Europäischen Union Frontex auf 10.000 Einsatzkräfte aufzustocken. Die Partei will also die rassistischen Machtstrukturen der europäischen Grenzpolitik stärken, was mit Blick an die europäischen Außengrenzen vor allem systematische Menschenrechtsverletzungen durch illegale Pushbacks bedeutet. Die verstöße gegen internationales Recht dokumentieren Non-Profit-Organisationen wie Amnesty International immer wieder. Die EU leitete Anfang des Jahres ein Untersuchungsverfahren ein, allerdings ist sie auf das Mitwirken von Frontex angewiesen, die Interesse daran hat, ihre Verstöße zu vertuschen. Profit über Menschenleben, wir kennen es von der Union.

Der gleiche neoliberale Haufen wird aller Voraussicht nach künftig mitentscheiden, nur jünger: Sieben JuLis kommen erstmals in den Bundestag. Schritte in Richtung einer sozial gerechten Gesellschaft können wir damit für die nächsten vier Jahre vergessen, sollten den Grünen nicht noch auf magische Weise ein Rückgrat wachsen. Bereits vergangenen Freitag wurde das bereits erwähnte Tempolimit von den Grünen als verhandelbar kommuniziert. Die Regierungsverantwortung wahrzunehmen aka Macht ist allen Beteiligten wichtiger als eine lebenswerte Zukunft und das wird sich ohne systemische Veränderungen auch nicht durch Wahlen ändern.

Mehr als 80 Prozent der 16-26-jährigen Menschen fühlen sich laut einer repräsentativen Umfrage mit ihren Interessen trotz vieler Proteste innerhalb der jetzigen Parteienlandschaft ignoriert (Quelle: Marktforschungsinstitut respondi im Auftrag der Generationen Stiftung). Mehr als die Hälfte (54,8 Prozent) fühlt sich von keiner der zur Wahl stehenden Parteien vertreten und 70 Prozent hat große Angst vor Zukunft - alles sehr verständlich.

Das Wahlergebnis macht deutlich, dass organisierte linke Bewegungen mit der jetzigen jungen und kommenden Generationen gestärkt werden müssen. Kämpferisch von unten, antikapitalistisch und klassenbewusst heißt es, den Neoliberalismus zu zerschlagen. Dafür braucht es eine klare inhaltliche Ausrichtung für junge Menschen, um sich als starkes gesellschaftliches Gegengewicht mit ausgestalteten Konzepten Gehör zu verschaffen - weil es an Zukunftsfragen nicht mehr vorbeigehen darf.