Laschets Besuch auf dem CSU-Parteitag am Wochenende, der so etwas wie das letzte Aufbäumen vor dem drohenden Wahldebakel war – immerhin stand die Junge Union zur Begrüßung Spalier und Standing Ovations für den Kanzlerkandidaten gab es obendrein, obwohl CSU-Generalsekretär Markus Blume zwei Tage zuvor noch betont hatte, mit Söder als Kandidat stünde man besser da –, markiert einen dieser neuen Tief(st)punkte.
Da sagte Laschet, der seinerzeit als Schüler Leistungskurs Geschichte belegte, Dinge wie: „In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen die Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite.” Zwar relativierte er nach einer dramaturgischen Pause seine Aussage, in dem er den Satz um “in der Wirtschafts- und Finanzpolitik” ergänzte. Dennoch bleibt der Grundtenor, die SPD treffe bloß falsche Entscheidungen, bestehen. Die Empörung der Sozialdemokrat:innen folgte kurz darauf auf Twitter. Offensichtlich hat sich Laschet seit Besuch des Leistungskurses nur noch marginal mit der jüngeren Geschichte auseinandergesetzt. Ohne Werbung für die SPD machen zu wollen, aber wo war die Union beispielsweise bei der Einführung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts, auch bekannt als “Ehe für alle”? Zur Erinnerung: 225 von 309 Abgeordneten der Union stimmten 2017 gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare. Und andere wichtige Entscheidungen, etwa die Einführung des Mindestlohns und der Grundrente, tragen ebenfalls SPD-Handschrift. Setzen, sechs.
Und wo wir gerade schon bei der Ehe für Personen gleichen Geschlechts waren. Noch so ein Tiefpunkt: Vor wenigen Tagen sagte Laschet im ZDF, angesprochen auf die Einführung eben dieser Gleichstellung: „2017 hat die Bundeskanzlerin dagegen gestimmt [...]. Ich hätte dafür gestimmt. “Vier Jahre zuvor, kurz nach dem die Ehe für Personen gleichen Geschlechts im Bundestag beschlossen wurde, sagte er dem Spiegel allerdings: „Dem Antrag hätte ich wie Merkel nicht zugestimmt.“ Und noch besser: Laschet hielt die Gleichstellung damals sogar für verfassungswidrig.
Laschets Strategie, sofern es überhaupt ein Konzept gibt, das den Begriff „Strategie“ verdient: Die politischen Gegner:innen angreifen, als schlecht und unfähig darstellen, Halbwahrheiten verbreiten und dafür auf der großen Bühne Applaus einheimsen. Wen will, wen kann man damit überzeugen?
Dass aus diesen Aktionen die pure Verzweiflung und die Angst vor Geltungs- und Machtverlust sprechen, dürfte angesichts der aktuellen Umfragewerte auf der Hand liegen. CDU/CSU landen in den jüngsten Umfragen bei 20 Prozent (Insa) beziehungsweise 22 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen) und damit nach wie vor auf Platz zwei hinter der SPD, die auf 26 beziehungsweise 25 Prozent kommt. Immerhin lag die Union Anfang des Jahres noch bei 37 Prozent in der Gunst der Wähler:innen. Und bei der Beliebtheit Laschets sieht es noch deutlich schlechter aus: Nur 21 Prozent der Befragten präferieren ihn als Kanzler, Olaf Scholz kommt auf 48, Annalena Baerbock auf 16 Prozent. Da hilft es auch nichts, die Rote-Socken-Kampagne der Neunzigerjahre aus der Mottenkiste zu holen und mantrahaft vor einem Linksrutsch zu warnen.
Was macht Olaf Scholz eigentlich in der Zwischenzeit? Der sieht sich gerade mit zweierlei konfrontiert: Zum einen mit der Frage, warum er eine Koalition mit der Linkspartei nicht explizit ausschließt und die er jedes Mal zu umschiffen versucht. Zum anderen mit der Durchsuchung seines Finanzministeriums vor wenigen Tagen. Grund dafür sind Ermittlungen gegen die Geldwäsche-Zentralstelle des Zolls. Ansonsten wirkt der SPD-Kanzlerkandidat, den die Junge Union kürzlich als “linksextremen” und mittlerweile, etwas liebevoller, als „linken Verbotswolf“ fürchtet, hanseatisch gelassen.
CumEx, Wirecard – war da was? Längst vergessen, so schien es in den letzten Wochen. Im jüngsten TV-Triell konfrontierte Laschet, der erwartungsgemäß auf Attacke geschaltet hatte, Scholz genau damit. Der geriet zwar kurz ins straucheln und wirkte spürbar angegriffen, hatte sich aber schnell wieder unter Kontrolle. Das Rezept seiner Berater:innen kann man mit Blick auf den bisherigen Wahlkampf vermutlich so zusammenfassen: Möglichst wenig Angriffsfläche bieten, alles präsidial wegschmunzeln, von den Fehlern der anderen profitieren und stets respektvoll mit den politischen Mitbewerber:innen umgehen. Immerhin ist „Respekt“ eines der zentralen Schlüsselmotive der SPD-Kampagne.
Und Annalena Baerbock? Die steht derweil im Harz, in irgendeinem Fichtenwald und will nicht mehr über Klimaschutz reden, während sich die Kameradrohne immer weiter von ihr entfernt und das Ausmaß der Klimawandel-bedingten Zerstörung erahnen lässt: abgestorbene Nadelbäume so weit das Auge reicht. Zumindest im neuesten Wahlwerbespot der Grünen. Über die Klimakrise redete sie natürlich trotzdem im Triell bei ARD und ZDF und ließ nicht unerwähnt, dass die nächste Regierung die letzte sei, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen könne. Ansonsten war es in letzter Zeit auffällig ruhig geworden um die ehemalige Protestpartei, die mittlerweile abgeschlagen auf Platz drei in den Umfragen liegt. Die Inszenierung Annalena Baerbocks als moderne Erneuerin, die für die „Veränderung, die unser Land jetzt braucht“ sorgen will - es bleibt abzuwarten, welche Wirkung sie bis zur Wahl am 26. September noch entfaltet.